Jakob Emden, genannt Ja’bez [Jakob ben Zewi] (1697-1776) Sohn des Chacham Zewi
Wer war Jakob Emden? Er war der Sohn des berühmten Chacham Zewi, der in Budapest und in Sarajewo seine Studienjahre verbrachte und dort seine ganze Familie während eines Krieges verlor. Nachdem er nach Berlin übersiedelte, heiratete er ein zweites Mal und ließ sich in Altona nieder. Emden, so hieß der Sohn nach dem Namen der Stadt wo er dreiundeinhalb Jahre das Rabbineramt bekleidete, huldige dem Andenken seines Vaters so sehr, dass er ihm gut ein Drittel seiner hebraïschen Autobiographie Megillat Sefer, der Buchrolle, widmete. Um die Persönlichkeit des Sohnes, dessen Leben und Werk richtig zu verstehen, müssen wir das Leben des im Jahre 1718 in Lemberg dahingeschiedenen Vaters im Kopf behalten. Die Treue und die Liebe zum Vater, der in den Augen seines hochbegabten Sohnes als ein unübertreffliches Modell galt, haben zweifelsohne die Laufbahn sowie das Privatleben des Sohnes tief beeindruckt und geprägt. Obwohl die Stellung des Sohnes gegenüber den Wissenschaften, der jüdischen Religionsphilosophie des Mittealters, sowie dem Christentum grundverschieden gewesen sein musste als diejenige des Vaters, der ein Mann der alten Welt war, spûren wir bei Emden den zähen Willen, dem verstorbenen Vater immer sehr geistesverwandt zu bleiben
Jakob Emden, genannt Ja’bez [Jakob ben Zewi] (1697-1776) Sohn des Chacham Zewi
Höchst selten sind die rabbinischen Autobiographien, insbesondere diese Megillat Sefer, die wie der Titel angibt, in einem fließenden hebräischen Stil verfasst wurde und die den Historikern des deutschen Judentums als wertvolle Quelle gedient hat, soweit sie des Hebräischen kundig waren. Seit ungefähr acht Jahren ist diese Autobiographie in französischer Sprache zu lesen. Das Interessanteste dabei besteht darin, daß Emden der Nachwelt keine frommen Aufzeichnungen liefern wollte: stets auf sein Recht pochend, fast rechthaberisch, rechtfertigte er die Lebensweise seines Vaters, seine Kämpfe gegen den unterschwelligen Sabbataismus, seine selbstlose aber auch sehr gefährliche Kritik an den Laienführern der Gemeinde in Amsterdam sowie seine jüdischen Lehren. Darüber hinaus wollte Emden auch sich selbst rechtfertigen: warum er sein Rabbineramt in Emden plötzlich niedergelegt und weswegen er den des Krypto-sabbataismus beschuldigten Jonathan Eibeschütz, des Oberrabbiners von Hamburg-Wandsbeck-Altona verfolgt hatte. Daneben erwähnt er auch sehr interessante Einzelheiten über das Gemeindeleben in den Drei Gemeinden sowie über sein Privatleben. Diese Autobiographie ist ganz einzig in ihrer Art: der Autor spricht ganz unverblümt von seinem intimen Leben, von seinem Umgang mit seinen drei verschiedenen Gattinen, derer nur die letzte, die seine eigene Nicht war, ihm überlebte. Aber aus seinen insgesamt zwanzig Kindern nur vier überlebten ihm. Der Autor beschwert sich sehr über seine Melancholie, die er als eine ganz ernste Krankheit erkannt hatte.
In der Seele von Jakob Emden kämpften zwei Tendenzen, die weit auseinandergingen: die Treue zur jüdischen Identität einerseits und die Anziehungskraft der europäischen, das heißt, der deutschen und der dänischen Kultur andererseits. Und Emden war kein Einzelfall. Für alle gebildeten Juden Europas war der Anfang des XVIII. Jahrhunderts ein Wendepunkt. Man kann sogar von einer Auflockerung der strengen jüdischen Tradition sprechen. Emden und seine gleichgeschulten Glaubensbrüder erlebten diese Wende wie einen mehr oder weniger schmerzlichen Übergang von der alten zur neuen Welt. Ohne vorgreifen zu wollen, darf man auf die Aussagen Moses Mendelssohns hinweisen, in welchen er von seinem Vater sprach. Dier Wörter Alt, alter Mann und alte Welt kehren immer wieder zurück. Das Judentum der Söhne war nicht mehr dasjenige der Väter; man mußte sich an die neuen Lebensbedingungen anpassen. Das wollte und mußte auch Salomon Maïmon tun, der am Ende seiner Emanzipationsbestrebungen die jüdische Tradition verlassen hat. Auch er hatte eine Autobiographie verfasst, aber diesmal auf Deutsch, wo eine gewisse Liebe zur jüdischen Tradition durchsieckert, obwohl das Festhalten an dieser veralteten Judentumsform als überholt und unvernünftig galt. Dieser kurze Hinweis auf Maïmon, der einer ganz anderen Gedankenwelt als Emden angehörte und der aber trotzdem in derselben Tradition und mit denseben Lern- und Lehrmethoden erzogen wurde, zeigt, wie groß die Ratlosigkeit der damaligen Juden nicht nur in Deutschland sondern in dem ganzen aufgeklärten Europa war.
An den Grundfesten des damaligen europäischen Judentums rüttelte der Sabbataïsmus und seine unterirdischen Vertreter wie Jonathan Eibeschütz und seine Anhânger. Das Judentum war tief gespalten: als Emden geboren wurde, lebten immer noch Menschen, die Sabbataï Zewi getroffen hatten. Er verstarb ja im Jahre 1676, also 20 Jahre vor Emdens Geburt! Die ersten Keime der Haskala, der jüdischen Aufklärung in Deutschland und in dem deutschsprachigen Kulturgebiet sind auf diese Zeiten zurückzuführen. Die hervorragende Bildung von Jakob Emden, seine Offenheit zu gegenwärtigen Kultur sowie seine nie gesättitgte Wißbegier müssen ihm die Schärfe der Lage ganz klar gezeigt haben: was sollte er tun? Welchen Weg sollte er einschlagen? Denjenigen eines Moses Mendelssohn, der die jüdische Tradition behutsam modernisieren wollte oder denjenigen des so oft gepriesenen und gefeierten Vaters, der aber so starr an seinen Meinungen festhielt? Zeitlebens hat Emden zwischen diesen beiden weit auseinandergehenden Wegen gezögert, obwohl er immer als ein streng gesetzestreuer Jude glebet hatte.
Emden war nicht gegen die weltliche Kultur, das heißt gegen die Wissenschaften: nur durften sie die Lehren des Judentums nicht in Abrede stellen, geschweige denn reformieren wollen. Das religiöse Erbe des Judentums war über die Zeiten weit erhaben. Nichts und Niemand durfte sich an der heiligen jüdischen Tradition vergreifen. Daneben war der Autor der Kultur sehr zugetan: er erzählt in seinen Aufzeichungen wie er sich für die Literatur der Völker, für ihre Geschichtsbücher, für die Erdkunde und sogar für ihre Liebesromane interessierte. Er fügt aber bezeichnenderweise sofort hinzu, daß er dabei die fürs Toralernen bestimmte Zeit gar nicht antastete. Wir sehen, wie Emden sich fast entschuldigen musste, wenn er von seinem Hang zur Kultur sprach. Auch die Medizin und die Bücher über andere Religionen haben seine Aufmerksamkeit auf sich gelenkt! Er erzählt in seiner Naivität ein höchst aufschlußreiches Erlebnis: beim Studium der Schriften des Maimonides, worüber wir bald zurückkomen wollen, stieß er des öfteren auf den Namen des Aristoteles und seiner Ethik. Er konnte der Versuchung kaum widerstehen, erwarb sich das Buch in hebräscher Übersetzung und las es, so wortwörtlich, in einem Ort, wo jegliches Torastudium streng untersagt ist. Hinter dieser historischen Anekdote stecken tiefe Gründe, die Emdens Zerrissenheit zwischen zwei Gedankenwelten zur Genüge erklären. Als er das Studium der maimunischen Werke unternahm, empfand er keine Schwierigkeiten mit dem Mishneh Torah, dem Mishnakommentar und den anderen theologischen Schrfiten des Autors. Als er aber sich gedrungen oder sogar notgedrugen fühlte, sich mit dem philosophischen Hauptwerk auseinanderzusetzen, konnte er nicht umhin, seinem tiefen Erstaunen über die merkwürdigen philosophischen Lehren des Maimonides Ausdruck zu verleihen. Und in seinem Kommentar zum Gebetbuch schrieb er mit einem tierischen Ernst, daß nicht Maimonides den hebräischen Moreh Nebuchim, Führer der Unschlüssigen, verfasst hatte, sondern ein byzantinischer Mönch, der es ihm angedichtet hatte, um den jüdischen Religionsphilosophen des Mittelalters in Widerruf zu bringen. Wollte er Maimonides unter seine Fittiche nehmen und so den langwierigen und heftigen Kontroversen des Mittelalters den Wind aus den Segeln nehmen? Das mag wohl möglich gewesen sein: aber unumstritten wahr ist die Tatsache, daß Emden es für unerträglich betrachtete, daß die Reinheit der Lehren des Maimonides im Mishne Tora von philosophischen, das heißt von heidnischen Theorien nicht befleckt oder verunreinigt werden durften. Warum sprach er vom einem Mönch aus Byzanz? Ganz einfach weil diese Mönche als der Inbegriff der Unreinheit in der rabbinischen Literatur der damaligen Zeit galten.
Emden wäre gewiss ein großartiger europäischer Gelehrter vom Schlage Moses Mendelssohns werden konnen, hätte er es nur gewollt! Er erzählt uns, wie er dänische sowie deutsche Flugblätter entziffern und verstehen konnte, nachdem er die gotischen Buchstaben sowie die Grammatik unter Leitung eines jungen Gehilfen erlernte. Mit einem gewissen Zynismus bemerkte er, daß es sich alles zu eigen machte, was der Junge wußte, ohne daß Letzterer dessen inne wurde. Auch hier ist eine gestörte Beziehung zur europäsichen Kultur zu spüren, soweit sie die jüdische zu gefährden schien.
Bevor wir uns mit Emdens Beziehungen zu Mendelssohn beschäftigen, kehren wir nochmals zum Mittelalter, um den genialen Charakter des Autors zu betonen. Unser Interesse gilt hier Emdens Stellung zum Sohar, der Bibel der Kabbala. In seiner Mitpachat Sefarim erkannte Emden sofort, daß Rabbi Shim'on bar-Johaï, der talmudiche Tanna aus dem II. Jahrhundert nach Christi Geburt, gar nicht der Autor von dieser Literatur sein könnte, sondern nur ein mittelalterlicher Schrfitsteller, der in seiner Zeit tief verwurzelt war. In seiner Mitpachat Sefarim führte Emden alle Stellen, Ausdrücke und Einzelheiten an, die seine berechtigten Annahmen bestätigten. Er bewies zum Beispiel, daß die aramäische Sprache der Zoharliteratur -denn dieses Buch bildete in seinen Augen keine nahtlose Einheit- nur eine mühsame Nachahmung des biblischen und talmudischen Aramäisch war. Es stellte sich die folgenden Fragen, die einen echt wissenschaftlichen Geist erraten ließen: wenn das Sohar-Buch so alt wäre, weswegen ist es weder in den beiden Talmudim, noch in der Tosefta, noch bei den Geonim noch bei Rashi, dem berühmten Bibel- und Talmudkommentator erwähnt? Wie konnten die Juden im Palâstina des II. Jahrhunderts nach Christi Geburt christliche Dienstmägde in ihren Häusern haben? Wie vermochte der Autor Gebete anzuführen, die in der talmudischen Zeit nie existieren konnten? Wie konnte rabbi Schim'on ben Johaï mit Worten spielen, die der Sprache Kastilliens angehören? Emden bezog sich auf das spanische Wort ESNOGA, das in der Soharliteratur vorkommt und das Moses de Leon in zwei hebräische Wörter einteilt: ESH [Feuer] NOGA' [Herrlichkeit] . Wie konnte der Tanna aus dem II. Jahrhundert Wortspiele in einer Sprache machen, die noch nicht existierte? Man sieht, daß Emden rein wissenschaftlich und rein kritisch verfuhr, fast wie ein moderner Philolog! Das Interessanteste bleibt aber, wie er seine Resultate verwertete: obwohl die moderne Kritik, die heutige von Yeshayahu Tischby und von Gershom Scholem, seine Verdienste anerkannte und erklärte, der heutige Soharforscher brauche die Bemerkungen von Emden nur zu klassifizieren, zu ordnen und ihnen weitere hinzuzufügen, hatte Emden seinerseits gar nicht denselben Gebrauch davon getan: Statt Moses de Leon als Pseudograph abzustempeln, erklärte er, daß der mittelalterliche Autor Seelenfunken seines talmudischen Modells in sich aufgenommen hatte, so daß er wie rabbi Shim'on bar Johaï sprechen und schreiben konnte. So unertrâglich war ihm die Idee, daß jemand die Tradition verfälscht hätte, daß er es vorzog, seinen eigenen wissenschaftlichen Errungenschaften die Spitze zu nehmen, um dadurch keine Abschwächung der Tradition zu verursachen. Das mag genügen für Emdens Beziehung zur Soharliteratur.
Verbleiben wir beim Mittelalter: man weiß, daß Maimonides viele Kommentatoren, insbesondere des Führers der Verwirrten gehabt hatte, und darunter der berühmte Moses Narbonensis oder Narboni, der als der beste jüdische Vertreter des Averreos galt. Das Problem war, daß dieser Narboni dem ausgehenden Mittelalter sowie der Renaissance ein ausgesprochen averroistisches Maimonidesbild vermittelte, das an seiner Orthodoxie zweifelte und den Rest seiner Schriften auch für die rechtgläubigen Juden unbrauchbar machte. Emden las den Namen des Narboni in den anderen Kommentaren, wo auch einige Exzerpte dieses heterodoxen Autors abgedruckt waren, insbesondere Abrabanel, der Narboni einen abscheußlichen Kommentator nannte. Obwohl Narboni eine spezielle Abhandlung über den freien Menschenwillen gegen einen Apostaten Abner de Burgos (nach seiner Taufe genannt Alfonso de Valadollid) im Jahre 1362 verfasst hatte, wo er eine Grundllehre des Judentums in Schutz nahm, veranstalte Emden, um ihn zu erniedrigen, ein sehr böses Wortspiel, indem er ihn Abner ha-Narboni nannte. Das heißt, für Emden wurden der Apostat Abner de Burgos und sein jüdischer Widersacher Moses Narboni über den gleichen Kamm geschoren. Emden verwarf Narboni, weil er den Eindruck hatte, daß dieser Kommentator die jüdische Tradition gefährdete, indem er in Maimonides mehr den aristotelischen Philosophen als den Halachisten bewunderte.
Man sieht, die Richtung der Maimonideserklärung von Emden und die Richtung der Maimonidesauslegung der Haskala gingen weit auseinander. Nicht etwa daß Emden nicht philosophisch vorgebildet war: vergessen wir nicht, daß sein Vater den Chacham David Nieto aus London, der des Spinozismus beschuldigt worden war, von dieser Anklage frei gesprochen hatte! Der Vater hatte gewisse Kenntnisse auf dem Gebiet der Philosophie und mindestens genug, damit der Beth-Din, der rabbinische Gerichsthof, von Hamburg ihm den Fall von Nieto anvertrauen konnte: und da der Junge Jakob bis zur Stunde der Trennung unter Leitung seines Vaters gelernt hatte, gehen wir nicht fehl in der Annahme, daß er seine philosophischen Kenntnisse an seinen Sohn weitergeleitet hatte.
Bei einigen israelischen Kollegen, die sich für die deutsch-jüdische Geistesgeschichte interessieren, kann man lesen, daß Emden Moses Mendelssohn gut hätte überbieten können, also übertreffen, hätte er nur in einer anderen Sprache als in der hebräischen schreiben können und wollen. Die vom Verfasser selbst besorgte französische Überseztung der hebräischen Autobiographie bestätigt die Richtigkeit dieses Urteils und zeigt, daß es keine Übertreibung ist. Und dies soll nicht mit einer Erniedrigung von Mendelssohns Werk gleichbedeutend sein. Das wäre eine gen Himmel schreiende Ungerechtigkeit. Ein einziges Mal geraten beide Männer in Konflikt, indem sie im Briefwechsel standen. Der Zankapfel war die Anweisung des Herzogs von Mecklenburg-Schwerin, der im Jahre 1772 anbefahl, die Toten erst nach drei Tagen beizusetzen. Wir wissen, daß die jüdische Tradition genau das Gegenteil vorschreibt: wegen der Verunreinigung muß man die Toten sofort beerdigen. Emden, dem nur noch vier Lebensjahre beschieden waren, wandte sich an seinen jungen Berliner Glaubensbruder und bat ihn, er möge ihm helfen, die Entscheidung des Herzogs rückgängig zu machen. Die Antwort Mendelssohns fiel nicht positiv aus: für ihn, der erst das dreiundreißigste Lebensjahr erreicht hatte, war die Motivierung der herzoglichen Maßnahme ganz annehmbar und vernünftig. Um seinen Standpunkt zu untermauern, zitierte der junge Philosoph einige Talmudstellen, in welchen berichtet wurde: es kamen Familienangehörige zu den Höhlen, wo der Tote liegen sollte und sieh (ich übersetze aus dem Hebräischen) der Tote stand auf seinen Beinen! (Berachot 27b und Bechorot 36a). Mendelssohn erklärte weiter, daß die damalige Medizin außerstande war, zu erkennen, daß ein swcherkranker Mensch, der nur sehr leise ein- und ausatmete, noch lebendig war. Daher die Vernünftigkeit der Maßnahme des Herzogs: nach dem Ablauf von drei Tagen war es ganz möglich zu entscheiden, ob die Person wirklich tot war. Emden wollte nichts hören: für ihn musste ein Gesetz noch heutzutage gelten, weil es seit mehr als zwei Jahrtausende in Kraft getreten war. Diese Konfrontation zwischen dem alten und dem neuen Geist zeigt nochmals, daß Emden sich den Erklärungen seines jungen Kollegen verschlossen hatte: nicht etwa weil er dessen Begründungen nicht verstehen konnten, sondern weil er sie nicht verstehen wollte! Eine scharfe Grenzlinie zwischen der alten Tradition und der modernen Kultur ließ sich ohne Schwierigkeit ziehen.
Ein Wort von dem Kampf, den Emden aus Altona gegen den Oberrabbiner von Hamburg-Wandsbeck-Altona, Jonathan Eibeschutz, führte. Altona war Emdens Heimatstadt und seine prâchtige Wohnung befindet sich noch an der Breiterstrasse 155; es ist nicht unvernünftig anzunehmen, daß er damit rechnete, der Nachfolger des verstorbenen Rabbiner der drei Gemeinden Ezechiel Katznellenbogen zu werden. Die Aussichten waren sehr gering und Emden hielt es für ratsam, sich um die Stelle nicht zu bewerben. Eibeschütz wurde gewâhlt und Emden beschuldigte ihn des Krypto-sabbataïsmus. Emden blieb vom Jahre 1751 bis zu seinem Tod in den drei Gemeinden. Früher, als sein Vater lebte, verkehrte er in Hamburg im Jahre 1712; 1719, nach dem Tode des Chacham Zewi, besuchte er nochmals die Stadt Hamburg, um dort einen Absatzmarkt für das Buch seines Vaters zu finden. Und nachdem er sich in Altona niedergelassen hatte, hielt er sich immer auf den Laufenden über das, was sich in der Hamburger Gemeinde abspielte. Auch die anti-sabbataistische Schrift des ehemaligen Hamburger Rabbiner Jakob Sasportas, des unerbittlichen Bekämpfers des falschen Messias, Tsitsat Novel Zewi, die Verwelkung des Zewi, hatte Emden in gekürzter Form neu aufgelegt. Sasportas erlebte schreckliche Sachen in Hamburg, als die ganze Gemeinde unter dem Bann des Sabbataï Zewi stand. In der großen Synagogue, so erzählte der arme Sasportas, mussten alle aufstehen und Amen antworten als der Name Sabbataï gesegnet wurde.…
Als Eibeschütz zum Oberabbiner gewählt wurde, erinnerte sich Emden an sein Prager Zeit und an die Gerüchte, die den neu gewählten Rabbiner des Krypto-sabbataismus beschuldigten. Er erinnerte sich auch daran, daß Eibeschutz während seiner Dienstzeit in Metz in Lothringen, Amulette an Wöchnerinnen gegeben hatte, weil die Meisten unter ihnen an Geburtswehen starben. Emden schnitt einige Amulette auf und entdeckte verschlüsselte Anspielungen auf den Namen des falschen Messias. Ich darf hinweisen auf die Geschichte der Juden von Heinrich Grätz, der vom Amulettenstreit sprach. Eibeschütz verneinte die Fakten und schwörte öffentlich, daß er mit dem Sabbataismus nichts zu tun hatte. Dieser Kampf zwischen den beiden Gelehrten betrübte das Leben der Drei Gemeinden jahrzehntelang. Nichts half um den andauerden Konflikt aus der Welt zu schaffen. Emden konnte sich des Eindruckes kaum erwehren, daß es ihm durch die Vorsehung beschieden wurde, genau dieselbe Rolle zu spielen und dieselben Ereignisse wie seinen seligen Vater zu erleben: genau so wie Chacham Zewi den Sabbataïsten Nehemya Hiyya Hayyun in Amsterdam bekâmpfen musste, so musste auch er in Altona den getarnten Sabbataïsten Einbeschütz entlarven. Der Sabbataïsmus wurde besonders gefährlich für die damaligen Juden Europas: man brauche nur die Memoiren von Glückel von Hameln zu lesen, um das feststellen zu können! Aber der Sabbataïsmus war auch gewissermaßen der Keim der Moderne, der Haskala und des Zionismus, der er an der religiösen Charakter des religiösen Messias zweifelte. In diesem Fall konnte die Rettung der Juden nicht allein von der religiösen Seite sondern auch von kulturellen und politischen Komponenten kommen.
Der moderne Geist von Jakob Emden lässt sich auch in seiner Beurteilung des Chrsitentums spüren: für ihn war das Christentum die Religion, die der überwiegenden Mehrheit der Menscheit den Gottesglauben hingreicht hatte. Auch die Dreieinigkeit schien ihm nur ein Symbol zu sein und kein Zeichen der Ketzerei. Das ist sehr bemerkenswert bei einem Schriftsteller, in welchem einige moderne Forscher den Vater des jüdischen Fundamentalismus erblicken wollten. Emden war mehr als das: er war zwar ein Außenseiter innerhalb der jüdischen Gemeinde; er blieb ja Rabbiner nicht mehr als dreieinhalb Jahre! Wie Moses Mendelssohn stand er am Rand der Gemeinde; aber im Gegenteil zu Moses Mendelssohn blieb er auch am Rand der Moderne, er blieb auf der Schwelle der Moderne stehen. Vielleicht wußte er von vorneherein, was Menschen bevorstand, wenn sie sich von ihrer Tradition entfernen. Vielleicht wußte er, daß die europäische Kultur viel zu viel von selbstvewußten Juden fordern würde. Festhalten wollte er troz allem an seiner jüdischen Identität.
Professor Dr Maurice-Ruben HAYOUN
Hochschule Für Jüdische Studien, Heidelberg
Bibliographie : (Emdens Schriften) : Mor u-kezi’a (2 Bände, Altona,1761-1768). Shéilat Ja’bez (2 Bände, Altona, 1738-1759). Siddur Bet Ja’akow (Lemberg, 1804). Torat ha-qena’ot (Amsterdam, 1752). Jezib Pitgam, (Kolomea, 1880). Sefer hit’abekut (Altona, 1762). Luah Etrésch (Altona, 1769). Megillat Sefer (Ed. David Kahana, Warschaw, 1896) (Ed. Abraham Bik, Jerusalem, 1979. Maurice-Ruben Hayoun, Rabbi Ja’aqow Emdens Autobiographie oder der Kämpfer wider die sabbatianische Hâresie, S. 219- 232 in Die Wissenschaft des Judentums, hrsg.. von Karl-Erich Grözinger, Suhrkamp, Frankfurt am Main, 1991. Idem, L’autobiographie de Jacob Emden (franz. Übersetzung) Paris, Le Cerf, 1992. Mit wissenschaftlicher Einleitung und Bibliographie. Jacob Jospeh Schacter, Rabbi Jacob Emden : Life and major works (Harvard PH. D., 1988 (UMI Dissertations Service).